Studentisches Begegnungsprojekt mit der Roma-Diaspora Belarus zum Thema „Ignorierter Genozid: Völkermord an Rom:nja in Belarus 1941-1944“ (30.09. – 08.10.2023)

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Einführung

Während des Zweiten Weltkriegs haben die deutschen Besatzer und ihre Kollaborateure in allen besetzten Gebieten Europas Sinti und Roma systematisch ermordet. In Belarus sind einige tausend Opfer bekannt. Während die Angehörigen der Überlebenden bis in die dritte und vierte Generation diesen Genozid nicht vergessen haben, nimmt er im Bewusstsein der deutschen und belarussischen Gesellschaft nur eine marginale Rolle ein. In beiden Ländern sind Rom:nja bis heute Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt.

Im Oktober organisierte das Bildungswerk für Erinnerungsarbeit und Frieden e.V. und Leonard Stöcklein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Didaktik der Geschichte der FAU Erlangen-Nürnberg, gemeinsam mit der Belarusischen Roma-Diaspora, der größten Selbstorganisation der Rom:nja in Belarus, ein Austauschprojekt. Im Fokus stand die Wissensvermittlung über den deutschen Vernichtungskrieg auf dem Gebiet des heutigen Belarus von 1941 – 1944, insbesondere über die systematische Ermordung der Rom:nja, eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen und belarussischen Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, die Begegnung und der interkulturelle Austausch mit Angehörigen der Roma-Diaspora und deren Strategien zu Stärkung ihrer gesellschaftlichen Partizipation.

Für alle Teilnehmer:innen war der Besuch in Belarus zudem der erste, weshalb der Reise ein zweitägiger Vorbereitungsworkshop an der EWF in Nürnberg vorausging, bei dem ein erstes Kennenlernen und eine vertiefte Vorbereitung zu den Themenfeldern, die dann im Programm in Belarus praktisch wirksam wurden, im Mittelpunkt stand. Im Rahmen des Vorbereitungsworkshops hielt die Osteuropahistorikerin Dr. Volha Bartash (Regensburg) einen Gastvortrag mit dem Titel „Family Memorial to Roma Genocide Victims in Navasyady, Belarus in the Light of Regional and National Memory Politics“.

Vorbereitungsworkshop an der EWF in Nürnberg

Der folgende Bericht ist eine Zusammenstellung von Einzelberichten der studentischen Teilnehmer:innen Sarah John, Paulina Lange, Hannah Trapp, Maria-Luisa Zwinger, Julia Jacumet, David Paraschiv, Janina Zimmermann, Estera Stan, Habtom Zerabruk, Larissa Schindele und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Lehrstuhls, Leonard Stöcklein aus Deutschland.

Anreise 30.09.2023

 

Wider Erwarten gestaltete sich die Einreise nach Belarus problemlos. Von Berlin flog die Gruppe zunächst nach Vilnius (Litauen), um von dort mit einem privaten Kleinbus die naheliegende Grenze nach wenigen Stunden Wartezeit mit touristischen Visa zu überqueren. Am Abend begrüßte uns Artur Gomonow, zweiter Vorsitzender der Roma-Diaspora, im Foyer des Hotel Yubileiny im Zentrum von Minsk, in welchem wir die kommende Woche über unser Quartier aufschlagen sollten. David Paraschiv schildert seine ersten Eindrücke so: „Die Vorfreude auf die Erkundung war spürbar. Schon an der Grenze empfand ich ein leicht ungewohntes Gefühl, als wir einer gründlichen Kontrolle unterzogen wurden und die Grenzposten mit Stacheldraht ausgestattet waren. Die Sicherheitskontrollen waren sehr streng, was die ungewohnte Atmosphäre verstärkte. Nach unserer Ankunft im Hotel stellte ich fest, dass die Zimmer altmodisch eingerichtet waren und mich unweigerlich an meine Kindheit bei meinen Großeltern in Bukarest erinnerten. Diese Nostalgie hatte auch ihren eigenen Charme.“

Sonntag, 01.10.2023: Museum des Großen Vaterländischen Krieges Minsk, Stadtführung und Vortrag von Dr. Dalhouski, Historiker der Geschichtswerkstatt Minsk

Zunächst lernten wir unsere beiden Dolmetscher:innen kennen, die für uns in der nächsten Woche überlebensnotwendig wurden und – zum Großteil simultan –  Führungen, Vorträge und Gesprächsrunden übersetzten.

Wir starteten den Tag mit einem Spaziergang über den „Prospekt der Sieger“ entlang zum „Museum des Großen Vaterländischen Krieges“ (1941-1945). Das Museum erstreckt sich über vier Stockwerke und leitet die Besucher:innen durch verschiedene Facetten der auf belarussischem Territorium geführten Schlachten des Zweiten Weltkrieges und von den Deutschen verübten Kriegsverbrechen. Kriegsbeginn, -alltag, -leid, -widerstand, -ende werden dabei mit Hilfe lebensgroßer Modelle und Wachsfiguren nachgestellt: So stehen wir mal bei Partisan:innen in einem Waldstück – mal bewegen wir uns an Autos vorbei oder unter Militärflugzeugen hindurch durch eine Landschaft.

Blick vom Hotel auf das Museum des Großen Vaterländischen Krieges

Informationstafeln, die überblicksartig die wichtigsten Inhalte zusammenfassen und einordnen, gibt es wenige. Stattdessen hängen an den Wänden Porträts von Menschen, die für ihre Leistungen bei der Bekämpfung der Deutschen zu Kriegsheld:innen erklärt wurden. Auch Dokumente, die von Einsätzen, Befehlen und Verordnungen zeugen, hängen dort in großer Fülle. Begleitet werden wir bei unserem Rundgang von einer Touristenführerin. Kleinteilig beschreibt sie die verwendete Militärtechnik, betont ihre Widerstandsfähigkeit – unter den wachsamen Augen einer Büste Josef Stalins. Anhand einzelner Schicksale, vor allem jüngerer Kinder oder älterer Menschen, werden exemplarisch die Ausmaße des erlebten Grauens des Krieges aufgezeigt. Die Führung schließt mit einem Besuch des „Saal des Sieges“ ab. Sarah John beschreibt ihre Eindrücke so: „Ein runder Raum, der dem Gebäude ganz oben aufsitzt. Licht flutet durch die mit Glasmosaik verzierte Kuppel; zwei Mosaikstelen mit roten und goldenen Sternen ragen in den Raum; in goldene Platten eingeprägt stehen Namen der verstorbenen Soldaten.“

Szene einer Schlacht

Im Anschluss wird uns Zeit für die eigenständige Erkundung des Museums zur Verfügung gestellt. Dabei entdecken wir einen Bereich, der sich der Kinderbildung widmet. In verkleinerter Form befinden sich hier Waffen und Flugzeuge aus Holz, mit denen die jüngeren Besucher:innen spielen können. Die Ausstellung ist immersiv gestaltet, berührt emotional, lässt jedoch informativ einige Leerstellen. Rom:nja, die auf spezifische und verschärfte Art und Weise von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik betroffen waren, werden beispielsweise an keiner Stelle als distinkte Opfergruppe genannt. Vielmehr wird nahezu ausnahmslos von belarussischen Bürger:innen gesprochen. Kollaboration von Belaruss:innen, von der wir wissen, dass es sie gab, bleibt beinahe nicht thematisiert. Lediglich eine Teilnehmerin berichtet, sie habe per Zufall in einer Vitrine ein Dokument entdeckt, welches die Unterstützung deutscher Truppen durch einen lokalen Bürger aufzeige.

Sarah John urteilt deshalb zur Konzeption des Museums: „Obgleich es sich bei der deutschen Besatzung um eine von außen auferlegte Gewaltherrschaft handelte, wäre eine differenzierte Einordnung der komplexen Rolle der lokalen Bewohner:innen für mehr historische Präzision von Vorteil gewesen. Für Irritation hat ansonsten die Fokussierung auf technische Details gesorgt, deren Mehrwert sich nicht allen erschlossen hat. Unverständnis hat weiterhin das Kinderbetreuungsprogramm hervorgerufen, da es nicht besonders „friedenspädagogisch“ orientiert zu sein schien.“

Zeitgenössische Fotographie der Inspektion eines Kriegsgefangenenlagers von Heinrich Himmler in der Nähe von Minsk. Über 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene sind von 1941-1944 verhungert, an Krankheiten verstorben und von den Nazis erschossen worden.

Auf den Besuch im Museum erfolgte noch ein Reflexionsgespräch. Insgesamt wurde der Besuch von der Gruppe als ein wertvoller Einblick in die Geschichtsvermittlung in Belarus gewertet. Daraufhin erkundete die Gruppe wichtige Plätze und Gebäude der Stadt Minsk, wie z.B. den „Platz des Sieges“, den „Platz der Oktoberrevolution“ und den „Unabhängigkeitsplatz“. Danach dürfen wir unsere Zeit frei nutzen. Einige nutzen sie, um sich weitere Denkmäler im Stadtzentrum anzusehen.

Zeitgenössisches Plakat: Mutter Heimat ruft zur Verteidigung gegen die deutschen Angreifer auf

Am Abend berichtet uns Dr. Alexander Dalhouski, Historiker der Geschichtswerkstatt Minsk, Experte auf dem Gebiet der Erforschung der Shoah und der Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Belarus, von der Entstehungsgeschichte und der Arbeit der Geschichtswerkstatt. Die Geschichtswerkstatt ist auf eine Gründung des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau und des jüdischen Architekten und Holocaustüberlebenden Leonid Lewin zurückzuführen. www.gwminsk.com Die Geschichtswerkstatt war in der Vergangenheit auch offizieller Projektpartner des Bildungswerkes. Dalhouski skizzierte zudem schlaglichtartig den Umgang mit den NS-Verbrechen in der sowjetischen Belarussischen Republik, seit 1990 und in der jüngsten Vergangenheit. Nach seinen Ausführungen zum Forschungsstand des Völkermordes an Rom:nja in Belarus diskutieren wir die These, dass nur nomadische Rom:nja wegen ihrer vermeintlichen Asozialität, Kriminalität und militärischen Spionagetätigkeit  vernichtet worden seien, kritisch. Zahlreiche wissenschaftliche Forschungsarbeiten wie auch unser Oral History Projekt zeigen, dass es sich um einen rassisch motivierten Völkermord gehandelt hat, dem ebenso sesshafte Rom:nja zum Opfer fielen. Dalhouski stimmte der Aussage schließlich zu, dass seine Thesen überholt seien.

Platz des Sieges
Lenin-Statue auf dem Unabhängigkeitsplatz
Nahe der zentralen Metro-Station Nemiga

Montag, 02.10.2023: Kolditschewo: Konzentrationslager und Erschießungsstätte

Nach einer 1,5 stündigen Fahrt mit dem Kleinbus erreichen wir ein Waldstück im Westen von Belarus. Es handelt sich um einen Ort nahe des ehemaligen Konzentrationslagers Kolditschewo – ein Erschießungsort, an dem die deutschen Besatzer und Hilfspolizisten Jüdinnen und Juden, Rom:nja und Polen willkürlich umgebracht haben. Hier gedachten wir der Ermordeten an einem Torbogen: Einem errichteten Denkmal an der Straße mit entsprechenden religiösen Symbolen der Glaubenszugehörigkeit der Ermordeten ausgestaltet, an dem auf Belarusisch, Polnisch und Romanes an die Morde erinnert wird. Es ist eines von nur drei Denkmälern in Belarus, die explizit den Roma als Opfergruppe gewidmet sind.

Das hölzerne Kreuz erinnert an die Erschießungen von Rom:nja bei Kolditschewo

Vom belarussischen Staat waren nur sehr knappe Informationen zu finden. Das hölzerne Kreuz im Inneren des Waldes errichteten die Rom:nja selbst zum Gedenken an 200 Angehörige der Community. Eine offiziöse Differenzierung der Opfergruppen erfolgt oft nicht. Diese Situation hat sich spätestens nach dem Gesetzesbeschluss Lukaschenkos von 2022 verschärft, welcher festlegt, dass allgemein von einem Genozid am belarusischen Volk von 1941 – 1944 zu sprechen sei. Als Folge dieses Gesetzes sind von staatlichen Organisationen wie einer Jugendorganisation kleine Schilder mit einem QR-Code an den Vernichtungsorten – so auch in Kolditschewo – errichtet worden. Hannah Trapp hält in diesem Zusammenhang fest: „Inwiefern beteiligte sich der deutsche Staat an diesem Erinnerungsort in der Vergangenheit? Und diese Frage kann erschreckenderweise schnell und unliebsam mit „gar nicht“ beantwortet werden.“

Mit einer kurzen Fahrt mit dem Bus kamen wir an einer Wiese an, auf der die Ruinen des ehemaligen Konzentrationslagers standen. Dort lagen noch Blumen und Grabkerzen aus, was uns zu verstehen gab, dass der Ort noch heute besucht wird. Markiert durch einen Treppenweg war ebenso ein großer Baum, an dem die Nationalsozialisten Insassen des Konzentrationslagers erhängten.

Ruinen des ehemaligen Konzentrationslagers Kolditschewo

Dienstag, 03.10.2023: Maly Trostenez, Jüdisches Museum Minsk und Führung durch das jüdische Minsk

Den Wald von Blagowschtschina besuchten wir im Zuge einer Tour durch die Gedenkstätte des dazugehörigen Zwangsarbeitslagers Maly Trostenz, wo Juden aus dem sogenannten „Altreich“, aber auch Menschen aus dem Minsker Ghetto inhaftiert und ermordet wurden. Zu den Opfern gehörten auch Menschen mit Partisanenverdacht und Kriegsgefangene. Zur Wende 1943/44 organisierten die Deutschen, die die Morde organisierten und zusammen mit den Kollaborateuren aus Lettland, der Ukraine und Belarus durchführten, eine Vertuschung der Verbrechen. In der „Aktion 1005“ wurden Gefangene gezwungen, die Leichen auszugraben, anschließend zu verbrennen und die Knochen zu zermalmen. Danach wurden die Gefangenen ebenfalls erschossen. Im KZ Maly Trostenez starben tausende Menschen meistens an den elenden hygienischen Bedingungen, der harten Arbeit und mangelnder Ernährung.

Eine Informationstafel zum Gedenkort „Maly Trostenez“

Die Konzeption der Gedenkstätte ist an andere europäische Erinnerungsorte des Holocaust angelehnt, jedoch auch immer wieder durchsetzt von monumentalen Denkmälern im sowjetischen Stil und Informationstafeln, die den Ort nicht in der Geschichte des Holocaust verorten. Hannah Trapp skizziert die Gedenkanlage folgendermaßen: „Ein langer Weg führt auf ein großes Denkmal zu, welches Häftlinge und Stacheldraht zeigt und das Lagertor des ehemaligen KZ Maly Trostenez symbolisiert. Zusätzlich steht dort das „Massiv der Namen“, eine private Denkmalsinitiative einer Angehörigen für die jüdischen Opfer aus Österreich. Auch in Blagowschtschina, der wenige Kilometer vom Lager entfernten Erschießungsstätte ist der Ort als Gedenkort künstlerisch ausgestaltet. Beginnend mit dem Platz des Lebens, dessen Name für mich bis zum Schluss zynisch blieb, setzt sich der Erinnerungsort bis zu den ehemaligen Gräbern der Opfer fort. Man schreitet dabei durch angedeutete Zugwaggons, die an die Deportation erinnern sollen.“

Die Schilder an den Bäumen vor den Gruben zeigen die Namen und zum Teil auch Gesichter der ermordeten Menschen. Noch bevor Blagowschtschina ein Ort der nationalen Gedenkpolitik von Belarus wurde, kamen Angehörige hierher, um zu erinnern.

Individuelles Gedenken der Angehörigen nahe der Erschießungsgruben

Einen Vorstoß des deutschen Staates für die Errichtung der Gedenkanlage hatte es nie gegeben. Lediglich bei der offiziellen Eröffnung der Gedenkstätte im Juni 2018 sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Informationen zu den Geschehnissen und dem Ort erhalten wir hier durch einen  Guide, der auf unsere teils kritischen Fragen bspw. zur Opferzahl, die von offizieller Seite seit kurzem künstlich und unwissenschaftlich nach oben in den Bereich von 500.000 ermordeten Menschen korrigiert wird, sehr bereitwillig eingeht.

Die Gedenkanlage der ehemaligen Erschießungsstätte Blagowschtschina

Neben der Erforschung der Geschichte der belarussischen Rom:nja setzten wir uns zudem auch mit der jüdischen Geschichte in Minsk auseinander. Der Direktor des jüdischen Museums, Alexander Nelyubov, führte uns durch das jüdische Museum und gewährte uns Einblicke in religiöse  Rituale und Feiertage. Darüber hinaus erhielten wir Informationen über das Leben der jüdischen Bevölkerung vor der deutschen Besatzung, die zu der Zeit über die Hälfte der Minsker Gesamtbevölkerung ausmachte. Wir lernen, dass viele Hollywood-Schauspieler:innen jüdische Vorfahren aus Minsk haben und einige israelische Staatsoberhäupter aus Belarus kommen.

Alexander Nelyubov zeigt der Gruppe das jüdische Museum in Minsk
Besuch des jüdischen Minsk. Nur sehr wenige Gebäude sind nicht der Vernichtungspolitik der deutschen Besatzer zum Opfer gefallen.

Das Minsker Ghetto, welches die Nazis im Herbst 1941 errichteten, gehörte zu den größten in Europa. Besonders im sogenannten Sonderghetto, einem abgetrennten Teil, in dem ausschließlich jüdische Menschen aus dem westlichen Teil Europas inhaftiert waren, kam es aufgrund der Sprachbarrieren zu besonders hohen Todesraten. Bei einer Tour durch den Bereich des einstigen Minsker Ghettos hielten wir an verschiedenen Denkmälern, darunter auch auf Beschluss der Stadtparlamente Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg errichtete. Die zentrale Gedenkstätte ist „Jama“ (Grube), an welcher am 2. März 1942 etwa 5.000 Juden und Jüdinnen von deutschen Soldaten erschossen wurden. Das Denkmal ist bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet worden und benennt explizit Jüdinnen und Juden als Opfer.

Das Denkmal am Ort der Erschießungen im ehemaligen Minsker Ghetto
Deutsche Denkmäler in der Nähe der Geschichtswerkstatt im ehemaligen Minsker Ghetto

Unser Guide verabschiedet sich pünktlich, da er am Abend auf Einladung der Deutschen Botschaft noch an den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit teilnimmt.

Ein sowjetisches Wandmosaik, welches in der Mitte die Einnahme des Brandenburger Tores als Symbol des Sieges über den Nationalsozialismus zeigt

Mittwoch, 04.10.2023: Allerheiligenkirche, Ausstellungseröffnung Masherov-Schule Minsk und Besuch beim deutschen Botschafter

Der nationale Memorialkomplex von 2011 ist Kirche, Gedenkstätte und Museum zugleich. Alle drei Etagen sind mit dem Fahrstuhl zu erreichen. Während oben Gottesdienste abgehalten werden, gibt es unten in der Krypta Räume, die der Leidensgeschichte eines historisch imaginierten Belarus seit Beginn des 11. Jahrhunderts gewidmet sind. In der Krypta der Allerheiligenkirche (http://hramvs.by/) steht eine mit buntem Glas geschmückte Lampe, die in ewigem Gedenken leuchtet. Wir wurden dazu eingeladen, eine Kerze anzuzünden. In den Wänden befinden sich kleine Nischen, in denen mit Erde befüllte Ampullen liegen. Die Erde stammt aus verschiedenen Orten, an denen Menschen starben, wie beispielsweise aus Konzentrationslagern oder auch Orten, an denen Angehörige der Feuerwehr oder des Militärs wie beispielsweise im Krieg in Afghanistan eines „Märtyrertodes“ gestorben sind.

Die im Jahr 2011 errichtete Allerheiligenkirche

Leonard Stöcklein berichtet von der Ausstellungsführung des Guides: „In der Ausstellung wird eine gemeinsame belarussische Vergangenheit dargestellt, welche mehrere Jahrhunderte zurückreichen würde, wobei sich Belarussen in zahlreichen Schlachten stets gegen äußere Bedrohungen zur Wehr gesetzt hätten. Das ist ahistorisch, denn Belarus war in Fürstentümer zerstückelt, darunter das multikulturelle Großfürstentum Polen-Litauen von 1500 bis 1790, Teil des russischen Zarenreiches oder später eine Sowjetrepublik.“

Impressionen vom Besuch der Dauerausstellung in der Allerheiligenkirche

Die Führung endete damit, dass der Guide vor unseren Augen ein nicht funktionsfähiges Kalaschnikow-Maschinengewehr entlud und dabei auf erstaunte und beeindruckte Gesichter hoffte, die jedoch eher mit Schrecken erfüllt waren. Paulina Lange: „Über unser Zusammenzucken wunderte er sich, bei Schulklassen sei das immer der beliebteste Teil der Ausstellung, sagte er.“  Der hohe Stellenwert des Militärs in Belarus wurde zudem auch durch Werbe- und Reklametafeln im Stadtbild von Minsk deutlich, welche die Heldentaten der Armee, Polizei und anderer militärischen Organisationen propagierten. Auf der zweiten Etage Deutsche Version | Belarusian Cultural Center “Spiritual Revival” (zdv.by) folgt noch ein Film über den Vernichtungsort Maly Trostenez. Hollywood-Optik, flammende Schriftzüge und Vertreter der Glaubensgemeinschaften sowie der Museumsdirektor kommen zu Wort. Unsere Teilnehmer:innen werden sich der medialen Beeinflussungsstrategien zum Glück bewusst. Am Abend folgt noch eine kritische Reflexionsrunde über diesen Tagesordnungspunkt.

Die Filmvorführung im Besucherzentrum der Allerheiligenkirche

Zu Fuß geht es weiter zur Masherov-Schule. Die Ausstellung, welche 2019 konzipiert und seit 2020 an über 15 Orten von der Roma-Diaspora gezeigt wurde, wird nun auch in dieser Schule eröffnet. Wir sitzen als deutsche Delegation gemeinsam mit dem Sekretär des Deutschen Botschafters in der Aula ganz vorne, hinter uns belarusische Schüler:innen in Uniform, die am Nachmittag teilnehmen und als Ausgleich Stunden des regulären Unterrichts ausfallen lassen dürfen. Es gehen immer wieder Lehrerinnen durch die Reihen, um eingeschlafene Kinder der höheren Jahrgangsstufen zu wecken. Zur Eröffnung singt ein junges Mädchen aus der 7. Klasse zunächst leidenschaftlich ein Partisanenlied, was für die deutsche Reisegruppe in seiner Theatralik befremdlich wirkt. Wir hören Reden der an dem Projekt beteiligten Akteur:innen.

Die Schülerin der 7. Klasse eröffnet die Ausstellung durch eine Gesangseinlage eines Partisanenliedes

Leonard Stöcklein spricht die Schüler:innen direkt an, sich eigenständig und kritisch mit der Ausstellung auseinanderzusetzen. Ob dies Früchte getragen hat, bleibt zu bezweifeln. Der direkte Kontakt mit den Schüler:innen wird uns von der Schulleiterin verwehrt. Wenigstens kamen wir mit einem jungen Mitarbeiter des jüdischen Museums und dem neuen studentischen Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt, der uns die ganze Woche über begleitet hatte, bei der Eröffnung ins Gespräch. Nach der Eröffnung  wurden wir durch das Schulmuseum geführt, in dem die Ergebnisse von Schülerprojekten zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges ausgestellt werden. Die Schüler:innen selber sehen wir weiterhin nicht. Die Geschichtslehrerin, welche das Museum kuratiert, zeigt uns stolz Zeichnungen von Schüler:innen, wie sie sich das Leben in Konzentrationslagern und die Schicksale belarusischer Kinder zur Zeit der deutschen Besatzungsherrschaft vorstellten. Die Schulleiterin sagt, das Schulmuseum diene dem übergeordneten Zweck patriotischer Erziehung. Am Abend diskutieren wir, ob man sich mit der Eröffnung der Ausstellung nicht sogar zum nützlichen Idioten gemacht hat. Das Meinungsbild bleibt gespalten.

Impressionen von der Ausstellungseröffnung

Das Schulmuseum zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges

Zum Abschluss des Tages wurden wir zu einer einstündigen Audienz in die Residenz der Deutschen Botschaft eingeladen. David Paraschiv knapp: „Dies ermöglichte es uns, unsere Eindrücke und Erkenntnisse auszutauschen und Einblicke in die diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern zu gewinnen.“ Der Geschäftsträger der Botschaft und die Kulturreferentin nahmen sich für uns Zeit, unsere bisher gewonnenen Eindrücke und Erlebnisse zu reflektieren und zu diskutieren. Außerdem sprachen wir über Chancen, Probleme und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten des Projekts unter den widrigen politischen Umständen in der Zukunft.

Wohngebäude in Minsk

Do., 05.10: Zeitzeugengespräch, Begegnung und Austausch mit belarussischen Rom:nja

In Borisov hatten wir die Möglichkeit, die Zeitzeugin Lyubov Muradinskaya und ihren Ehemann Sergei Muradinskij zu treffen, die uns in ihr Zuhause einluden. Beide wurden bereits im Jahr 2019 im Rahmen des Projekts interviewt und ihre Geschichten lassen sich in der belarussischen Variante der Ausstellung nachlesen.

Lyubov wurde im Konzentrationslager Auschwitz geboren, dorthin wurde ihrer Mutter Wera Filippowna und ihre beiden jüngeren Brüdern deportiert, nachdem der Roma-Tabor ihrer Familie im Jahr 1942 von deutschen Soldaten entdeckt worden war. Im Konzentrationslager sah sich ihre Mutter mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen und einem Alltag geprägt von Hunger, Kälte, Tod und Schikanen konfrontiert. Lyubovs Vater, ein französischer Wachmann, half der Familie, indem er ihnen Essen beschaffte. Nach der Befreiung lehnte Wera Filippowna die Möglichkeit ab, mit Lyubovs Vater nach Frankreich zu gehen, da sie ihre beiden Söhne nicht zurücklassen wollte. Dadurch sah Lyubov ihren Vater nie wieder. Lyubov erzählte uns, dass sie bis zu den Interviews im Jahr 2019 nie über ihre schmerzvolle Vergangenheit gesprochen hatte, da das Interesse der Mehrheitsbevölkerung fehlte. Die Tatsache, dass sie nun Teil der Ausstellung geworden ist, bewegte sie zutiefst. Sie wünschte sich jedoch auch, nun endlich die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Die Zeitzeugin Lyubov auf dem roten Stuhl sitzend

Hannah Trapp fasst Gespräch und Wirkung so zusammen: „Zunächst lief das Gespräch etwas stockend an. Aus Zeitzeugengesprächen in Deutschland war man eher sogenannte „Profizeitzeugen“ gewohnt, die ihre Geschichte von selbst ausführlich erzählen. Nachdem die ersten Fragen gestellt wurden, entwickelte sich jedoch eine spannende Gesprächssituation. Außerdem war es für uns besonders traurig, dass dieses Thema für so viele Jahre (bis 2019!) nie auf öffentliches Interesse gestoßen war. Grundsätzlich war dieser Tag, der eher im Privaten stattfand, eine gute Abwechslung zum restlichen Programm.“

Die Teilnehmergruppe zu Gast bei den Zeitzeugen

Während unseres Aufenthalts hatten wir auch die Gelegenheit, junge Rom:nja zu treffen und uns mit ihnen über verschiedene gesellschaftliche Themen sowie persönliche Erfahrungen auszutauschen. Dies trug dazu bei, ein tieferes Verständnis für die Lebenssituation der Roma in Belarus zu gewinnen. Mitglieder der Roma-Diaspora beteiligten sich trotz Studium und Beruf aktiv bei unseren Programmpunkten. In zahlreichen Gesprächen erfuhren wir mehr über das Engagement der Organisation, die sich unter anderem seit vielen Jahren für die Erinnerung an den Völkermord in Belarus einsetzt und für die Ausstellung die Kontakte zu den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen hergestellt hatte. Darüber hinaus schilderten uns junge Mitglieder der Organisation die antiziganistische Diskriminierung, der sie in ihrem Alltag, insbesondere in der Arbeitswelt, aber auch in anderen Lebensbereichen ausgesetzt sind. Es gebe zwar keine Hassverbrechen und Gewalttaten gegen Roma, wurde berichtet, aber Alltagsrassismus in vielfacher Ausprägung. Dieser führt etwa dazu, dass Rom:nja häufig ihre Identität verbergen. Fast jede:r unserer Gesprächspartner:innen berichtete, sich schon mehrfach, etwa bei Bewerbungsgesprächen für eine Arbeitsstelle, als „Armenierin“ oder „Georgier“ ausgegeben zu haben, oder angebliche italienische oder spanische Vorfahren zu erfinden, um die dunklere Hautfarbe oder einen ungewöhnlichen Vornamen zu erklären.

Julia Jacumet schildert eine Begegnung: „Eine Romni, die als Geburtshelferin arbeitet, berichtete uns, dass einige Frauen sich weigerten, von ihr behandelt zu werden und allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Roma-Gemeinschaft sogar manche Ärzt:innen nicht mit ihr zusammenarbeiten wollten. Dies verdeutlichte die bestehenden Vorurteile und Benachteiligungen, mit denen  Rom:nja in Belarus konfrontiert sind.“

David: „Besonders beeindruckend war unser Treffen mit einer Roma-Organisation in Belarus, die sich für die Rechte der Roma einsetzt. Dort erhielten wir Einblicke in die Geschichte und Verfolgung der Roma aus einer neuen Perspektive, was unseren Horizont erweiterte.“

Artur Gomonow erzählte der Gruppe ausführlich von seinen Bemühungen und Widrigkeiten bei der Beantragung und Verteilung von Entschädigungsleistungen der Stiftung EVZ für die Opfer des Roma-Völkermordes in Belarus. Am Ende waren es nur wenige hundert Euro, die einzelne Überlebende kurz vor ihrem natürlichen Tod erhalten hatten.

 

Zu lockeren Gesprächen über in Deutschland ansässige Kulturen und Traditionen wie Karneval oder das Oktoberfest und der Frage nach dem Beliebtheitsgrad dieser Events bei den deutschen Teilnehmer:innen führte uns eine junge Romni noch Tänze vor, die sie als einzige Romni in einer aus verschiedenen in Belarus lebenden Minderheiten zusammengesetzten Tanzgruppe einbringt. Nun wurden auch wir auf die Tanzfläche gebeten. Die Einladung schlugen manche nicht aus.

Typischer Plattenbau mit Zeichnungen aus der Sowjetzeit in Minsk

Fr., 06.10.2023: Chatyn

Die Erinnerung an die deutsche Besatzungszeit ist allgegenwärtig, nicht zuletzt aufgrund der schweren Verbrechen, welche die deutschen Besatzer zusammen mit Kollaborateuren anderer Nationen in der ehemaligen Sowjetrepublik begangen haben. Für alle Menschen auf dem Territorium des heutigen Belarus war die Besatzungszeit geprägt von Hunger, Gewalt, Leid und Tod und fast jede vierte Person kam zwischen 1941 und 1944 ums Leben. Dieser traumatische Teil der Geschichte ist tief in der belarussischen Gesellschaft verankert. Einer dieser Orte der deutschen Vernichtungspolitik war Chatyn. Ein Gedenkort, der an die über 600 Dörfer erinnert, die zusammen mit ihren Bewohnern während der deutschen Besatzungspolitik verbrannt wurden. Dieses ehemalige Dorf wurde von den Nazis sowie ukrainischen Kollaborateuren dem Erdboden gleichgemacht, nachdem Partisanen in der Nähe deutsche Soldaten getötet hatten. Die Bewohner:innen des Dorfes wurden dabei in eine Scheune gesperrt und angezündet. (www.khatyn.by)

Direkt nach unserer Ankunft bekamen wir eine Führung durch das gerade im Sommer 2023 neu eröffnete Besucherzentrum. Vergleicht man deutsche und belarussische Museumspädagogik, so fällt auf, dass in Belarus die Besucher:innen bewusst emotionalisiert werden. Es ist weniger reich an Informationen und historischen Quellen bzw. Darstellungen. Dies kann mit keinem anderen Begriff zutreffender beschrieben werden als mit dem der Überwältigungspädagogik.

Das neue Besucherzentrum von außen

Wie sich dann im ersten Raum, den abermals fiktiven historischen Schlachten des belarussischen Volkes gewidmet, herausstellt, zieht sich durch die gesamte Ausstellung der sogenannte Blutfluss. Unter in den Boden eingelassenen Glasplatten schlängelt sich ein Rinnsal aus einer roten Flüssigkeit von Raum zu Raum. Im folgenden Raum befinden wir uns nun in einem nachgebauten Haus von 1941, das Telefon klingelt: Wir sind im Krieg. Die Möbel umgeworfen, vor den Fenstern Bombenhagel. Ein Kind, projiziert in einen Spiegel, erzählt uns seine Lebens- und viel mehr seine Todesgeschichte. Weiter in den nächsten Raum. Unter uns weiterhin der Blutfluss. In der Mitte steht eine hellweiße Figur aus Marmor, eine junge Frau. Sie geht erhobenen Hauptes auf den Strick zu, der von der Decke hängt. Die Angestellte des Museums informiert uns darüber, dass jetzt erst der psychologisch herausforderndste Raum käme. Es erwartet uns wieder ein Nachbau eines Tatortes, diesmal die ehemalige Scheune des Dorfes. An drei Wänden Flammen, an der vierten Wand das Scheunentor mit Einschusslöchern. Die Luft in der Scheune ist bewusst stickig und erhitzt, um den Besuchen „das Gefühl zu geben“, wie sich die Menschen in ihren Todeskampf gefühlt hätten. Anders als unsere belarussischen Begleiter empfanden wir dies den Opfern gegenüber als unangebracht.

Videoanimation im ersten Ausstellungsraum zu den Kriegen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
Die sich durch alle Ausstellungsräume durchziehende Blutspur

Darauf folgte wieder ein heller, weißer Raum. Die glorreiche Zukunft von Belarus. Der Blutfluss muss irgendwo versiegt sein, denn wir stehen auf einem Meer aus Getreide. David: „Der Besuch dieser Art von Museen half uns zu verstehen, wie wichtig es ist, verschiedene Perspektiven in der Geschichtsdarstellung zu berücksichtigen und kritisch über den Einfluss der Politik auf die Interpretation von Geschichte nachzudenken.“

Die nachgebaute Scheune im Besucherzentrum von Chatyn

Historisch und erinnerungskulturell sinnvoller erschien der Gruppe die Gedenkanlage auf dem Gelände zu sein. Hier sind Betongrundrisse von Häusern aufgestellt, die symbolisieren, dass an diesem Ort nie wieder ein Dorf stehen wird und somit sinnhaft an die grausame Ermordung der Menschen aus Chatyn und weitere ziviler Dörfer erinnert.

Symbolische Grundrisse der von den deutschen Besatzern zerstörten Dörfer

Auf dem Außengelände liefen wir zunächst auf eine Statue zu, welche einen der wenigen Überlebenden namens Joseph Kaminski darstellt, der sein lebloses Kind in den Armen hält. Das Denkmal ist von Leonid Lewin entworfen worden. Des Weiteren sind mehrere Lebensbäume aufgestellt worden, welche die Namen der nach der Niederbrennung wieder aufgebauten Dörfer zeigen. Zudem sind Steinplatten angeordnet, welche die Namen der niedergebrannten Dörfer nennen und in denen sich Erde von eben diesen Orten befindet. An jedem nachempfundenen Haus befindet sich eine Glocke. Somit hört man während des gesamten Aufenthalts auf dem Gelände alle 30 Sekunden einen Glockenschlag.

Das Denkmal von Leonid Lewin zeigt den Überlebenden Josef Kaminsky mit seinem ermordeten Sohn im Arm
Eine Mauer des Gedenkortes Chatyn

 

Sa.,07.10. Massenerschießungen an Rom:nja: Navasyady und Astravets im Westen von Belarus

Der letzte Tag mit Programm war gleichzeitig auch unser Abreisetag. Bereits früh am Morgen fuhren wir in den Westen von Belarus. Dort besuchten wir das Denkmal von Galina Alexandrowitsch in der Nähe von Ashmyany. (Das Denkmal habe ich auf meine Kosten gebaut – Völkermord an Roma: Remember to resist (genocideagainstroma.org).

Das privat finanzierte Denkmal von Galina Alexandrowitsch

Das Denkmal hat sie als Überlebende der Massenerschießung im Gedenken an ihre Angehörigen aus privaten Mitteln errichtet. An diesem Ort wurden 40 Rom:nja und ein Jude, nachdem sie ihr eigenes Grab schaufeln mussten, ermordet. Die Tochter namens Galina überlebte das Massaker durch die Hilfe der Dorfbewohner und baute an jener Stelle ein Denkmal für ihre Familie. Da oft keine Dokumente über die genauen Orte oder Namenslisten bei Massenerschießungen erstellt wurden bzw. die Täter ihre Spuren verwischten, gibt es heute nur wenige konkret nachweisbare Gräber des Genozids an den Rom:nja in Belarus. Die zunehmende Verstaatlichung des Gedenkens war auch bei den Gedenkorten der Rom:nja bemerkbar. So wurden in den letzten Jahren staatliche Plaketten an dem Denkmal angebracht. David: Außerdem fiel uns auf, dass bei einigen Roma-Denkmälern in Belarus das rassistische „Z-Wort“ verwendet wurde, was zutiefst beunruhigend war und verdeutlichte, wie tief Vorurteile und Stereotypen gegenüber der Roma-Bevölkerung verwurzelt sind. Dies unterstrich die Notwendigkeit einer respektvolleren und sensibleren Darstellung und Wahrnehmung von Roma, um die Erinnerung an ihr Leiden und ihre Geschichte angemessen zu bewahren.“

Typische Landschaft in Belarus

Zuletzt besuchten wir einen neu errichteten Gedenkort nahe der Stadt Astravets. Bereits 2004 hat ein Lehrer der örtlichen Schule erste Forschungen zu der Erschießung durchgeführt und dabei Zeitzeug:innen aus der lokalen Bevölkerung interviewt. Der genaue Ort der Erschießung war jedoch nicht bekannt. Dort wurden nun kürzlich bei Exhumierungen der belarussischen Staatsanwaltschaft mehrere menschliche Überreste entdeckt. Forschungen ergaben, dass es sich um Rom:nja gehandelt haben soll, welche bei dem Massaker von den deutschen Besatzern ermordet wurden. Diese Information wird jedoch auf dem Gedenkkreuz selbst nicht erwähnt. Lediglich auf einer ergänzenden Tafel am Rand des Gedenkortes werden Roma als Opfergruppe benannt – und der QR-Code zu einer staatlichen Organisation angegeben, wie schon beim Denkmal von Galina und bei Kolditschewo.

Stattdessen werden sie als „friedliche Sowjetbürger“ bezeichnet, was an die sowjetische Erinnerungskultur der Nachkriegszeit, in welcher verschiedene Opfergruppen nicht benannt werden, erinnert.  Janina: „Hierbei fiel auf, dass die Bilder, die auf dem staatlichen Informationsschild abgedruckt waren, Fotos aus dem Minsker Ghetto zeigen sowie ein Monument aus Minsk, welches an einer Erschießungsstelle platziert ist, an dem Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Ortsansässige Rom:nja brachten bei der offiziellen Zeremonie in Eigenregie eine kleine Tafel mit der internationalen Roma-Flagge mit und stellten diese auf.“

Der Gedenkort in Astravets nach der offiziellen Einweihung
Fotographien der Exhumierung

Fazit

Julia Jacumet zieht folgende Bilanz der Austauschreise in Belarus: „Unsere Reise nach Belarus ermöglichte uns, tiefgreifende Einblicke in die Geschichte des Landes und vor allem der belarussischen Rom:nja zu gewinnen. Außerdem ermöglichte uns der Austausch mit der Roma Diaspora und den Zeitzeug:innen die Herausforderungen und Diskriminierungen, mit denen die Rom:nja konfrontiert sind, besser zu verstehen. Es bleibt zu hoffen, dass Vorurteile abgebaut werden können und ihre Geschichten mehr Beachtung finden.  Jedoch geben die politische Entwicklung und die geschichtspolitische Instrumentalisierung des Völkermords an den Rom:nja und die Verstaatlichung der Gedenkorte Grund zur Besorgnis. Nichtsdestotrotz bin ich dankbar für die Eindrücke, Erfahrungen und Informationen, die ich auf der Reise bekommen habe sowie über die Menschen, die ich kennenlernen durfte.“

Metro Minsk

Maria-Luisa Zwinger hält für sich fest: „Die Gedenkanlagen und Museen, die wir besucht haben, waren ein sehr interessantes Erlebnis für mich. Sie sind fast alle vom belarussischen Staat finanziert, weshalb man immer im Hinterkopf behalten muss, dass die Inhalte und Lehrformen so aufbereitet worden sind, dass sie der Regierung gefallen. Das heißt nicht, dass die Geschichtsschreibung dort komplett verfälscht ist. Es war aber eine Betonung auf dem emotionalen und weniger auf dem rationalen da, weshalb beispielsweise die Motive der Nazis oft nicht klar gezeigt worden sind. Trotzdem habe ich, denke ich, einige Sachen über die Rom:nja, über die Besatzungszeit und über die Denkweise der belarussischen Bevölkerung lernen können. Auf dieser Reise haben wir vieles erlebt, gelernt und (neue) Leute (besser) kennenlernen können. Der Zusammenhalt und die offene Kommunikation innerhalb der Gruppe fand ich äußerst wertvoll. Ich bin mir sicher, dass mich diese Reise nachhaltig geprägt hat, und ich bin dankbar dafür, dass ich sie antreten durfte.“

Statue von Jakub Kolas, berühmter belarussischer Nationaldichter

David: „Insgesamt war die Reise nach Belarus für mich eine tiefgreifende Erfahrung. Sie ermutigt dazu, sich weiterhin für die Anerkennung und Würdigung aller Opfergruppen und ihrer Geschichte im Zweiten Weltkrieg einzusetzen. Die Reise verdeutlichte, wie wichtig es ist, vielfältige Perspektiven zu berücksichtigen und die Erinnerung an vergangene Ereignisse wahrheitsgetreu und respektvoll zu bewahren.“

Abschlussbemerkung der Projektleitung

Wir danken allen Beteiligten für ihre Bereitschaft, ihre Eindrücke von der Reise zu verschriftlichen. Sämtliche Projektteilnehmer:innen sind entweder angehende Lehrer:innen, Wissenschaftler:innen oder Aktivist:innen in Roma-Organisationen. Das gibt uns große Hoffnung, dass ihre Absicht, die gewonnenen Erkenntnisse weiter zu verbreiten und für ihre weitere Bildungsarbeit zu nutzen, sich erfüllen wird.

Eine der Hauptstraßen im Minsker Zentrum am Abend